Gletschertour und Skjeggedal

Das Wetter  versprach einen schönen Tag. Zwar sammelten sich mehrere weiße Haufenwolken am Himmel, aber durch die zahlreichen Lücken schimmerte das begehrte Himmelsblau. Also, die günstige Gelegenheit beim Schopfe fassen und den Aufstieg zum Buerbre bei Odda in Angriff nehmen. Schließlich waren es einschließlich der Fähre nach Brimnes 81 Kilometer zu fahren. Da muss man bei den norwegischen Straßen schon mit zwei Stunden rechnen. Und es wurde noch länger. Ein schwedischer Bus mit asiatischen Touristen, der die gleiche Fähre benutzte, befuhr die engen Straßen besonders vorsichtig, so dass sich schnell eine lange Kolonne bildete, die gemächlich Richtung Odda zuckelte. Dann kam uns an einer engen Stelle noch ein Wohnmobil entgegen, so dass der Verkehr ganz zum Erliegen kam. Unsere Kolonne musste langsam versetzt rückwärtsfahren, so dass sich das Wohnmobil an dem Bus vorbei quetschen konnte. Wir hatten vorsichtshalber schon mit einer größeren Lücke angehalten, um Fahrzeugmanöver zu ermöglichen. Da spielen unsere Norwegenkenntnisse schon mit. In Ullensvang fuhr der Reisebus rechts heran, gab den PKW’s die Gelegenheit, zu überholen. Eine generöse Geste, die wir öfters erlebten. Gegen 11:30 Uhr erreichten wir Odda, zweigten Richtung Buer ab und fuhren nach vielen „Stamper“ – geschwindigkeitssenkende Straßenbaumaßnahmen – Jordal entgegen, um dann entlang des wild schäumenden Buerelvi den Schotterweg nach Buer zu bewältigen. Wir hatten Glück, denn nur einmal kam uns ein Taxi entgegen. Dieses hatten sicher Wanderer geortet, die ohne den Fahr- und Parkplatzstress die Gletscherzungen erreichen wollten. Denn der Weg ist sehr eng und Ausweichen nur an bestimmten Stellen möglich, die man sich etwas einprägen sollte. Und natürlich war der Parkplatz übervoll, in jeder freien Lücke quetschten sich Fahrzeuge aller Nationen, ob Groß und Klein. Die Eigentümer hatten wohlweislich ihre Wirtschaftsflächen mit Ketten gesichert, denn der Gletscherwanderer in der Not stellt sein Fahrzeug eben überall ab. Franzosen hatten ihren Peugeot direkt vor der mobilen Toilette geparkt, für körperlich schmale Menschen gerade noch zugänglich, ohne das Fahrzeug zu beschädigen. Da darf die Not allerdings nicht sehr groß sein. Und ein Audi mit deutschem BOR – Kennzeichen missachtete das Verkehrsschild „Einfahrt verboten“ und parkte sein Gefährt auf dem Privatgrundstück. Das hätte zu Hause sicher Ärger gegeben. Auch eine Möglichkeit, die herzliche Gastfreundschaft zu missbrauchen. Wir hatten Glück und konnten noch eine kleine Lücke im regulären Bereich ergattern. 11:55 Uhr stiefelten wir los, erst ganz entspannt über den bewirtschafteten Hof, dann etwas steiler durch einen Mischwald, bis wir auf einer ersten felsigen Lichtung einen schönen Ausblick auf das Buerdal hatten. Zeit, eine kurze Rast und einen Fotostopp einzulegen. Dies hatten auch andere Wanderer erkannt, denn hier sammelten sich in kurzer Zeit Auf- und Absteigende. Die Sonne wärmte angenehm, doch sobald man in Flussnähe kam, wehte ein erfrischender Wind, der uns frösteln ließ. Kleinere Flussläufe wurden mit Behelfsbrücken überspannt, so dass man trockenen Fußes das gegenüberliegende Ufer erreichte. Höhepunkt war eine Hängebrücke, die man schwankenden Schrittes überwand. Nun wird es steiler und jeder Schritt sollte gut ausgewählt werden. Taue und Ketten helfen den Untrainierten, so manche steile oder rutschige Stufe zu überwinden. Die dadurch entstandenen Wartepausen kann man gut für die schöne Aussicht nutzen und gleichzeitig wieder Luft holen. Dann ist der Gletscher ziemlich nahe und nach knapp 100 Minuten stehen wir auf dem Felsplateau direkt vor dem Eis. Die Jacken sind notwendig, denn der Wind weht frisch und kühlt den erhitzten Körper schnell aus. Es sind zahlreiche Wanderer hier oben versammelt, auch kleine Kinder kraxeln in sicherer Entfernung vor dem Eis. Wagemutige erklimmen einen früher befestigte Leiter zu einem Felsen im tosenden Gletscherabfluss. Jetzt stehen nur noch die beiden Stege und man kann sich langsam hinüber hangeln. Der Mut wird mit einem tollen Foto aus dem Inneren des reißenden Flusses belohnt. Dann gewinnt Klärchen noch den Kampf mit den Wolken, so dass das Eis im schönsten Lichte erstrahlt und der blaue Himmel das ganze Bild abrundet. So stellen wir uns Picknick in den schönsten Ecken der Natur vor.
Der Abstieg ist leichter, benötigt allerdings auch wieder mehr Zeit, da sich die Touristen an den Engstellen sammeln. Eine holländische Familie dreht auch gleichzeitig ein „Bergsteigervideo“, wie sich Vater, Mutter und die beiden Kinder an den „Steilwänden“ abseilen. Ist natürlich nur gestellt und wirkt lustig, ja, wenn die fröhlichen Menschen eben nicht den ganzen Verkehr aufhalten würden. Jedenfalls waren wir um 16 Uhr zurück, den ganzen Ablauf in einer passablen Zeit. Eine größere Rast hatten wir uns verdient, hielten dann später noch direkt am reißenden Fluss an, um noch ein paar schöne Aufnahmen vom Ufer zu tätigen.
Es begann dann auch noch zu regnen. Wir hielten deshalb in Odda an und bummelten ein wenig durch die City. Es war zwar Sonnabend, aber gegen 18 Uhr war kaum Belebung in den Straßen. Da fehlt ganz einfach das typische Touristenflair, offene Cafès, die zum Verweilen einladen. Für die Bergwanderer ist dies sicher nicht nötig, Entspannungsurlauber werden dies bestimmt vermissen. Für uns reicht eine Sitzgelegenheit an einer guten Aussicht, allerdings verschmähen wir einen guten norwegischen Kaffee in angenehmem Ambiente auch nicht.
Unterwegs fiel mir der Abzweig nach Skjeggedal in Tyssedal auf. Da wir es sowieso noch vorhatten, die Trollzunge (Trolltunga) zu erwandern, nutzten wir die Gelegenheit, und schraubten uns die Serpentinen zum Kraftwerk nach oben. Zwischendurch passierten wir die Arbeitersiedlungen, die so gar nichts von norwegischer Lebenskultur versprühten. Alles grau und auch etwas verkommen, schade. Der anschließende Privatweg war gut asphaltiert, aber wieder so eng, dass Gegenverkehr erneut eine Herausforderung darstellte. Oben angekommen verschlug uns die Parkplatzgebühr doch etwas den Atem: 100 NOK für zwölf Stunden, darunter ging nichts. Nun hatten wir aber gar nicht vor, zur Trollzunge zu wandern, wollten nur ein wenig die Gegend erkunden. Jetzt wurde mir auch klar, warum einige Fahrzeuge direkt vor dem Gelände an den Felsen gedrückt an der Straße parkten. Diese wollten die Gebühr umgehen. Die Mågeliban war schon ein beeindruckendes Bauwerk, diente früher dem Lasten- und Personentransport auf das Fjell. In diesem Sommer ist sie außer Betrieb, so dass jeder Wanderer erst einmal die 2430 Stufen in die Höhe und zum Abschluss wieder in die Tiefe erklimmen muss. Das ist schon eine Herausforderung. Der Parkplatz war auch gut gefüllt, es mussten also zahlreiche Bergfreunde zur Trollzunge unterwegs sein. Gut konnte man beobachten, wie einige Rückkehrer das Bauwerk meisterten und unten die Waden massierten. Auch der Staudamm am Ringedalsvatnet war gut zu sehen. Der Parkplatz ist mit WC und Duschmöglichkeit gut ausgerüstet, so dass jeder nach strapaziöser Bergtour auch wieder frisch gefönt den Rückzug antreten konnte, so, als wäre man nur zum Sonnenbaden im Gebirge gewesen.  Da die ganze Wanderung zur Trollzunge mindestens acht Stunden dauern sollte, beschlossen wir, diese Tour für später aufzuheben. Die Anreise von Tjoflot ist doch ganz schön langwierig. Nehmen wir einmal an, dass in unserem gesetzten Alter auch das Zeitkontingent etwas höher anzusetzen ist, wäre die Durchführung unter den jetzigen Gegebenheiten kaum zu schaffen. Auch ein Grund, nochmals in diese Region zu fahren. Und insgeheim hofft Petra sicher, dass dann auch die Mågeliban wieder fährt, so dass ihr der beschwerliche Anstieg zu Beginn der Tour erspart bleibt.
Als wir mit der Fähre nach Bruravik übersetzten, kreuzte die AIDA unsere Fahrrinne. Das ansehnliche Kreuzfahrtschiff hatte in Eidfjord angelegt gehabt und war nun auf der Rückfahrt durch den Hardangerfjord. An der Küstenstraße konnten wir sie leicht überholen und mehrmals ablichten. Dann fuhr sie direkt an unserer Ferienhütte vorbei und brachte auch die“ Aalener“ zum Entzücken. Da müssen sie bis nach Norwegen fahren, um ein deutsches Kreuzfahrtschiff aus der Nähe zu sehen. Das ist doch ein guter Tagesabschluss. Ob wir morgen Muskelkater haben werden? Ich lasse mich überraschen.