Naustflot und Umgebung

Der Sonnabend zeigte sich regnerisch und wolkenverhangen, das ideale Wetter, um den fehlenden Schlaf der letzten Tag nachzuholen. Beim ruhigen Frühstück bemerkten wir direkt in den Apfelbäumen vor dem Küchenfenster eine Schar Erlenzeisige, die aus den Gräsern die Samen klaubten. Die kleinen Vögel sind bei uns als Wintergäste bekannt, hier konnte ich sie in aller Ruhe von meinem „Ansitz“ aus beobachten. Da sie längere Zeit vor dem Haus schwirrten und das Wetter sich nicht besserte, baute ich das Teleobjektiv in der Küche auf, machte es mir im Sessel bequem und konnte eine optimale Position abwarten. So einfach war es jedoch nicht, denn das Licht war schwach und die Zeisige waren in ständiger Bewegung. Aber ein paar gute Schnappschüsse im Umfeld der kleinen Vögel kamen heraus und im guten Gefühl, ein paar schöne Bilder im Kasten zu haben, nutzten wir den Nachmittag, um die Umgebung auf weitere Veränderungen zu erkunden. Da Klärchen jetzt doch ab und zu durch die dünner werdende Wolkenschicht lugte, das Licht diffus und nahezu schattenlos war, wurden gleich noch ein paar Pflanzen- und Insektenmakros geschossen. Dazu mussten wir nur vor die Haustür treten, denn in der gelbblühenden Hecke summte und schwirrten Bienen, Hummeln, Schwebfliegen und Käfer. Danach wollten wir wissen, was aus unserem „Geisterhaus“ geworden ist. Ein Fahrweg hinter dem Gehöft unserer Vermieter endete damals an einer abgelegenen Kirsch- und Apfelbaumplantage mit einem Wohnhaus, welches uns damals unbewohnt erschien. Als wir das Grundstück queren wollten, hatten wir den Eindruck, dass sich die Gardine bewegte, als ob jemand nach den „Fremden“ sah. Entsprechend unserer Einstellung, private Grundstücke zu meiden, um das Leben der Einheimischen zu respektieren, traten wir den Rückzug an, um nicht aufdringlich zu sein. Schließlich würde es uns auch nicht gefallen, wenn ständig Fremde durch unseren Garten gehen würden. Ob wir das Haus jetzt immer noch so vorfänden oder wäre es weiter verfallen? Gesagt, getan! Der Weg war schnell gegangen, doch diesmal stand ein dunkler Pickup auf dem Weg. Also doch bewohnt. Es lagen auch Baumaterialien herum, so, als ob das Anwesen renoviert werden würde. Wieder begutachteten wir die Seilzugwinde, die uns schon damals aufgefallen war. Sie führte direkt an das Fjordufer. Bestimmt wurde hier früher alles in die Höhe gezogen, als die Straße noch nicht um die Oksenhalbinsel führte. In letzter Zeit schien sie nicht mehr in Betrieb gewesen zu sein. Ein schönes zeitgeschichtliches Exemplar, welches auch Rückschlüsse über das Leben in Norwegen zuließ. Es war ein hartes Leben, denn vor den Erdölfunden war dies ein bitterarmes Land. Landwirtschaft war wegen des geringen Platzes außerhalb der Gebirgszüge kaum möglich und der Transport jeglicher Waren äußerst umständlich. Heute ist daran kaum noch zu denken. Moderne Brücken und Tunnelsysteme verbinden die kleinsten Inseln und Orte. Und doch ist die Landflucht ein Thema in Norwegen. Allein die schöne Landschaft hält die Menschen nicht fern vom pulsierenden Stadtleben Oslos, Bergens oder Trondheims. Wir sehen immer nur die Urlaubszeit. Aber auch die Einsamkeit im Winter hinterlässt bei den Menschen hier ihre Spuren und kann kaum von uns nachvollzogen werden. Stimmengewirr reißt uns aus unseren Gedanken. Eine dreiköpfige Familie kreuzt unseren Weg, kommt uns über das Grundstück laufend entgegen. Ob das die Eigentümer sind? Wir grüßen freundlich mit „Hei“, wie es in Norwegen üblich ist. Sie grüßen zurück und setzen ihren Weg fort. Wir gehen weiter. Plötzlich steht ein junger Mann mit Ohrenschützern – einschließlich Radioempfang, wie man an der Antenne sieht – uns im Weg. Er holt Material vom Pickup. Er arbeitet hier! Wir wollen nicht stören, grüßen und drehen um. Beim Gehöft der Vermieter angekommen, sehen wir, dass die Familie, die uns entgegen kam, Quartier in eines der Ferienhäuser der Familie Kaland gefunden. Der silbergraue Golf an der Einfahrt trägt das Kennzeichen BZ für Bautzen. Also Sachsen, wie wir. Das scheint eine Sachsenecke zu werden, denn schon das Ferienhaus am Ufer direkt vor uns wird von einem jungen Paar mit zwei kleinen Mädchen aus Plauen bewohnt. Schnell finden wir Kontakt zu dem Ehepaar mit ihrer sechzehnjährigen Tochter. Sie sind das erste Mal in Norwegen und begeisterte Wanderer. Bisher haben sie ihre Bergerfahrungen auf einsame Höfe in Österreich oder Slowenien erworben. Da werden sie hier ihre Freude haben, besonders am Aufstieg zum Oksen, der 1241 m über uns liegt. Jeden Abend können wir zu unserem Hausberg aufsehen. Wird das Wetter besser, werden wir ihn ebenfalls nochmals erklimmen. 2008 war kurz unterm Gipfel Endstation. Diesmal wollen wir uns auch in das Gipfelbuch eintragen. Morgen soll das Wetter besser werden. Wir werden das Husedalen mit seinen vier Wasserfällen  erklimmen.